Launch der Chronik für Marzahn-Hellersdorf

Wir haben lange gegrübelt in den letzten Wochen: "Sollen wir? Sollen wir wirklich die Pläne aus der Schublade ziehen?" Nein, nicht der Einsatz internationaler oder interstellarer Militärs zur Sicherung des Friedens zwischen den Menschen ist geplant. Denn es wurde und wird ja gar die unantastbare Menschenwürde, die sich die Deutschen nach Auschwitz in's Staatsprogramm schrieben, hart strapaziert und sich so mal wieder als idealistisches Bonmot entpuppt.

Nachdem sich das "Antifaschistische Bündnis Marzahn-Hellersdorf" vor vier Jahren auflöste - wir warten übrigens noch auf eine Erklärung - und nun versprengt in den Universitäten, in Parlamenten, im Untergrund, in Psychiatrien die Subversion probt, fehlte uns ein verlässlicher Partner an einer Dokumentation über "Aktivitäten im Berliner Randbezirk Marzahn-Hellersdorf, bei denen eine Ideologie von der Ungleichheit der Menschen sich manifestiert oder die politische Grundlage ist"1 zu arbeiten, in der Gewissheit dies auch adäquat bewältigen zu können.

Doch die jüngsten Ereignisse um die Einrichtung eines Lagers für Menschen im Asylverfahren haben uns nicht nur die Notwendigkeit vor Augen geführt der Öffentlichkeit die Möglichkeit zu bieten, sich einen Überblick zu den krassen diskriminierenden Verhaltensweisen der meist autochthonen, deutschen Bevölkerung zu verschaffen. Wir haben auch neue Freunde gefunden, denen wir vor allem editorisch und technisch zur Seite stehen. Die sind etwas introvertierter als Daniel Neumanns Bande damals, und entsprechend gewissenhaft.

Stark irritiert sind wir immer noch was es eigentlich mit Polis* auf sich hat. Dass sich eine Vollzeitstelle "fortlaufend einen Überblick über rechtsextreme und demokratiegefährdende Erscheinungsformen im Bezirk" verschafft und "sie zum Gegenstand fachlicher und öffentlicher Debatten"2 macht, davon war nichts zu bemerken. Unverständlich bleibt uns wie angesichts der offenen und breit getragenen rassistischen Hetze auf der gegenwärtig populärsten Webplattform für den Befindlichkeitsaustausch3 die Veranstalter der Informationsveranstaltung am 9. Juli diesen Jahres im Vorfeld eine so laxe Haltung an den Tag legen konnten. Das haben sie bisher auch nicht erklärt. Bezirksbürgermeister Komoß (Sarrazin-Partei) fiel da im bürgerlichen Affekt nichts anderes ein als die Extremismus-Karte zu ziehen - soviel zu fachlichen Debatten. Der derzeitige Angestellte für Fachfragen zur "Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit"4 ließ sich am Braunen Dienstag - so nennen unsere neuen Freunde den Event5 - erst gar nicht blicken. Und als wäre die Überlegung eine Veranstaltung zur Klärung von "berechtigten Ängsten und Sorgen der Anwohner" durchzuführen nicht schon ein Einknicken vor dem Mob, dem dort ein Volksfest geboten wurde - Die-da-Oben aufgereiht wie die Enten am Schießstand, geschossen wurde nur verbal, das aber scharf - um seinen Selbsthass im kollektiven Erleben als legitimes Anliegen zu erleben. Nein, in einer F.A.Q.6 lässt sich das Mitglied einer extrem-neoliberalen Sturmpartei7 die Gelegenheit nicht nehmen über "Wirtschaftsflüchtlinge " zu sinnieren. Einmal angekommen in Deutschland darf auch jeder mal Ausländer in nicht-brauchbare und noch-brauchbare sortieren. Es mag sein, dass man in Deutschland-Hellersdorf mit der Zeit eine selektive Wahrnehmung entwickelt, aber die Frage "Was ist eigentlich Rassismus?" oder gar "Wie manifestiert sich ein rassistischer Diskurs in dieser Gesellschaft?" konnten wir nicht entdecken. Wegen "Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" und so. Es ist ja nicht so, dass wir uns von vom Staat abhängigen Stellen etwas erwarten, geschweige denn auf diese verlassen würden. Doch gibt es gerade im Osten Deutschlands einige gute Beispiele wie der Staat zur Abwehr standortfeindlicher, antizivilisatorischer Ausfälle seiner Bevölkerung durchaus couragierte Stellen fördern kann, die eine produktive Distanz im Zweifel auch verteidigen.

Die Notwenigkeit dazu legten die Studien des Professor Heitmeyer alle Jahre wieder nahe. NoGo-Areas hatten wir auch schon. Ganz viele im Osten Deutschlands, ja auch nicht wenige hier in Hellersdorf. Und im Jahr 2006 als es hier keine mehr gab, zumindest keine kontinuierlichen, gab es nicht nur Hoffnung, dass es ohne Intervention vielleicht doch gelingen könnte, entspannte Nach-Hause-Wege für alle zu ermöglichen. Es gab sogar eine öffentliche Debatte darum. Nicht wenige hegten den Verdacht, dass es im schwarz-rot-geilen WM-Jahr nur darum ging den internationalen Berichterstattern das Wind aus den Segeln zu nehmen. Obwohl vor kurzer Zeit einiges Geld8 in eine Imagekampagne für den Bezirk gesteckt wurde, lässt die in der heißen Phase der Auseinandersetzung amtierende Bezirksbürgermeisterin Pohle (Die Linke) diese Verve vermissen.9 Und erhält einzig von einem Springer-Blatt Applaus für ihre Kampagne "Ruhe jetzt! Hier ist alles in Ordnung."10 Nach unserer Quellenlage11 hat es Sage und Schreibe zehn Wochen - zehn Wochen der übelsten Hetzte, mit dabei offen angedrohter Mord und Todschlag - gedauert, dass eben genannte Pohle oder jemand anderes in politischer Verantwortung davon sprach, dass es in Hellersdorf auch rassistische Anwohner gäbe. Aber gut, vielleicht kommt einer nach fast 40 Jahren Menschenverwalten auch jede Distinktionsfähigkeit zu den Untertanen abhanden. Das wäre immerhin nur naiv.

Uns dünkt jedoch es ist die altbekannte, kalte Ignoranz. Einer Ignoranz die Seit' an Seit' marschiert mit der reaktionären Fratze der Hellersdorfer Hanswursts und die wir als Freunde jeder Emanzipation nicht aus dem Blick lassen werden.

NSU? Verfassungsschutz? Die Beiden bleiben hier unerörtert, dem kritischen Gemüt wird es nicht schwer fallen das Geschehen dazu zu kontexualisieren. Es ist nicht wenig was sich da auftut. Und nichts, das zuversichtlich stimmt. Mulmig macht einen auch der Eindruck, den man hat, wenn man mehr weiß als dieser Geheimdienst rausrückt. Wenn dieses Projekt hilft, dessen Legitimation zu unterminieren, gerne doch.

Im übrigen können wir uns mit der Forderung des Café Morgenland sehr anfreunden. Sollte diese nicht umgesetzt werden, wird dieses Projekt fortgeführt.

Die Datenbank ist abrufbar unter der URL https://suburbanhell.org/chronik für Webbrowser und kann via https://suburbanhell.org/chronik.xml mit Feed-Readern abonniert werden, wobei nach dem Datum des beschriebenen Ereignisses sortiert wird.

Um einen Überblick der aktualisierten Einträge zu erlangen bieten sich die URLs https://suburbanhell.org/chronik/updates resp. https://suburbanhell.org/chronik/updates.xml an.

Wir bemühen uns um eine Integration in das Projekt http://www.rechtesland.de und sind gerne bereit APIs für weitere maschinelle Verarbeitungen bereit zu stellen.

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