30. Januar 2010
Dass wir hier auf das Referat von Gerhard Stapelfeldt am 11. Februar 2010 hinweisen, haben wir als Anlass genommen, einige Anmerkungen dazu zu notieren. Eine umfassende inhaltliche Diskussion soll hier nicht geführt, die veranstaltenden Gruppen auch nicht angegriffen werden. Wir wollen darauf hinweisen, dass kommunistische Praxis hinterfragt werden muss, was uns in diesem Fall leider etwas kurz gekommen scheint.
Die Emanzipative Antifaschistische Gruppe und die Gruppe Disparat aus Berlin präsentieren im Februar und März 2010 eine Reihe von Veranstaltungen zur Kritik des Antisemitismus und der Krise. Soweit ist das natürlich ein anzuerkennendes Vorhaben. Irritierend sind die aufgeworfenen Fragen und die Inhalte der einzelnen Veranstaltungen dann aber doch.
Zunächst weiß das Exposé zur Veranstaltungsreihe selbst nicht so recht, was der Antisemitismus denn nun sei. Zuerst ist es noch "unweigerlich" eine "ideologische (...) Welterklärung", um gleich darauf "gemeinhin" doch nur dümmlich als diskriminierende Einstellung gegenüber einer "Religionsgemeinschaft" verstanden zu werden. Dass auch im Mainstream - gleich welcher politischen Position - die erste, kritischere Analyse angekommen ist, kann doch aber als erfreulichere Entwicklung der letzten Jahre zur Kenntnis genommen werden.
Im weiteren wird versucht einen notwendigen Zusammenhang zwischen kapitalistischer Krise und Antisemitismus herzustellen, auf Biegen und Brechen. Doch stellen wir uns die Frage: Wozu? Im Zuge der letzten Krisenerscheinungen gab es keinen wahrnehmbaren Anstieg antisemitischer Publikationen oder Angriffe. Falsches Bewusstsein der gesellschaftlichen Verhältnisse (die Talkshows und Kommentare zur Krise waren ja ganz groß darin, dieses zu dokumentieren, nur eben ohne jeden Antisemitismus1), falsche Kritik an der politischen Ökonomie (etwa auf die Zirkulationssphäre oder den Staat beschränkt) und Antisemitismus scheinen für die Autor_innen ein und dasselbe zu sein. Diese Verwässerung von Begrifflichkeiten muss doch notwendig zu den kruden Äußerungen führen, für die der antideutsche Nachwuchs - der wie der innerlinke Gegenpol rumnervt - zurecht berüchtigt ist und führt in eine Sackgasse für die Kritik.
Weiter meinen die Autor_innen in einem Kauderwelsch Adornoscher Adepten - wenig geeignet für eine Veranstaltungsankündigung, eher für Missverständnisse und den Eindruck einer obskuren Herleitung - der Antisemitismus habe mit Auschwitz eine Zäsur erfahren. Üblicherweise ist dann die empirisch nachvollziehbare Rede vom sekundären Antisemitismus und Antizionismus. Hier ist er aber bis dahin noch "Ausdruck der Barbarei", danach Ausdruck eines "Gesellschaftlich-Unbewussten". Wo Marx vom Überbau sprach, wird hier eine von Freud herrührende Konzeption ins Feld gebracht. Als sei die Psychoanalyse auf das Subjekt bezogen nicht streitbar genug, ist es der bereits von Freud unternommene Versuch einer Gesellschaft ein Unterbewusstes zuzuschreiben allemal. Allein der Begriff deutet auf die Problematik hin. Ist das Unbewusste nicht etwas individuelles und werden die kollektiven Gewissheiten nicht im öffentlichen Gespräch hergestellt? Oder ist die antisemitische Propaganda etwa nur Ausdruck des "gesellschaftlich-unbewussten"?2 Nach unserer Wahrnehmung ist das Bewusstsein der meisten Menschen in dieser Gesellschaft von der Wertökonomie doch das von etwas naturwüchsigem, eine "bewusste Verschwörung und Machenschaft" - so heißt es im Text - sehen doch nur gesellschaftliche Randgruppen (was nicht bedeutet, dass wir diese für ungefährlich hielten).
Dass der Antisemitismus sich "[d]och nicht nur in der kapitalistischen Gesellschaft und seinen Krisen zeigt", ist verdammt richtig und hätte die Veranstalter_innen vielleicht doch noch einmal zu einer Überarbeitung der Konzeption motivieren sollen. Und so lesen sich die Veranstaltungstitel dann wie ein Digest der letzten zehn Jahre: Antisemitismus und Antiamerikanismus, Antisemitismus und Psychoanalyse3, und Iran4, und Sexismus5, und DDR, und so fort. Heavy Rotation auf dem Podium.
Einzig Martin Dornis, dessen Einladung wieder zur Disposition steht, will einen Zusammenhang zwischen Krise und Antisemitismus diskutieren. Letzterer tritt hier als Nationalsozialismus auf; und darin liegt dann auch die Crux. Zwar ist der Antisemitismus als Ideologem konstituierend für die nationalsozialistische Ideologie. Doch so wäre an den Referenten die Frage zu stellen, welchen Gewinn es bringt den "nationalsozialistischen Massenmord" (denn hier ist der NS eine Form bürgerlicher Herrschaft) allein auf der Grundlage der "Logik der Warengesellschaft" (hier aber wieder Fetisch) zu deuten. So bleibt dann der fade Beigeschmack des Geschichtsdeterminismus, gegen den sich gewandt werden soll, beim Lesen hängen. Da hilft auch das Rumgeeier mit Modalverben nicht; Nichts muss, Alles kann - nicht nur bei Sex. Keine Atempause, Geschichte wird gemacht. Doch genug der Idiome. Dass der Kommunismus dann noch dem Nationalsozialismus in einem Zusammenhang entgegengestellt wird, stinkt irgendwie nach "gewaltförmigen Vergleich".
Nun hätten wir auch gerne etwas über den Stein des Anstoßes, den eingangs erwähnten Vortrag von Gerhard Stapelfeldt über "Neoliberalismus und Antisemitismus" beziehungsweise dessen Ankündigung, die nicht aus des Referenten Feder stammt, notiert. Doch beim Lesen eben dieser Ankündigung bekommt der Begriff Antideutsch glatt eine neue Deutungsebene: Hier wird - scheinbar wieder im Ansinnen den Duktus Adornos zu treffen - Sprache bar jeder Semantik präsentiert. Als hätte ein Studierender der Soziologie (oder eines anderen Studiengangs, bei dem man sich schon qua Immatrikulation ach wie kritisch wähnen kann) auf Acid in der knallen Sonne einen Bleistift in die Hand gedrückt bekommen. Immerhin nicht das schlechteste was der Kategorie Antideutsch in letzter Zeit hätte widerfahren können. So gesehen handelt es sich bei all dem vielleicht auch um eine dadaistische Aktion, die endlich all die Bockmistblüten antideutscher Borniertheit abschütteln will.
Da dem aber wohl doch nicht so ist - wir haben nachgefragt, bleibt wohl doch nur hinzugehen, zuzuhören, nachzufragen, zu diskutieren.
- 1. Wir möchten daran erinnern, dass die letzten antisemitischen Ausbrüche in Deutschland im Zusammenhang mit den Aktionen der israelischen Verteidigungskräfte im Gaza-Streifen zu Beginn des letzten Jahres stattfanden.
- 2. Überhaupt würde so erst ein Schuh draus. Daß sich das Unbewusste in gesellschaftlicher Praxis manifestiert, nicht eine Ideologie im Unbewußten.
- 3. Die Einladung fragt allen Ernstes, wenn auch rhetorisch, ob die menschliche Psyche eine_n zwinge "antisemitisch zu denken" und offenbart dabei die eigene ideologische Perspektive.
- 4. Der Berg-Deutsche Stephan Grigat wird wieder jammern, dass ihm die israelischen Regierungen viel zu lasch nach Innen wie nach Außen seien und nicht offen aussprechen, dass er gerne einen Angriffskrieg starten würde. Sicher referiert er auch was er sich zum Islam angelesen hat - bei Küntzel bestimmt - und wird unsägliche Gleichsetzungen dazu vortragen. Für diesen "Freundschaftsdienst" an Israel gibt's dann noch ein Referentenhonorar. Es ist zum Heulen.
- 5. Eine Co-Autorin unkt gar, dies erfülle lediglich den Zweck das eigene Gender-Gewissen zu beruhigen.
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